Die Ontologie zum Versorgungswesen der Findel- und Waisenkinder ist in ihrer Konzeption primär als Erschließungswerkzeug gedacht. Darüber hinaus ergeben sich jedoch auch Möglichkeiten zur inhaltlichen Analyse der erfassten Daten. Im folgenden sollen beide Szenarien kurz vorgestellt werden.

Use Case 1: Erschließung

Ein Begriff, der im Rahmen des Versorgungswesens der Findel- und Waisenkinder in den Augsburger Baumeisterbüchern vermehrt auftaucht, ist der Begriff der “Sternin”. In der Literatur finden sich keine Informationen zu diesem Begriff. Die Arbeit mit den 130 untersuchten Einträgen hat ergeben, dass es sich dabei um mehrere weibliche Personen gehandelt hat, die nacheinander mit der Versorgung der Findel- und Waisenkinder betraut waren. Die Ontologie kann dabei helfen, dieses Phänomen besser zu verstehen, da sie die Entitäten aufzeigen kann, mit denen die Sternin in Beziehung steht. Durch die folgende Abfrage lässt sich dies visualisieren:

MATCH (r:Role)-[]-(n:Keyword)
WHERE r.keyword = 'Sternin'
RETURN r,n

Das Ergebnis bildet einen Ausschnitt des Graphen. Im Zentrum steht ein Knoten, der über die Label :Keyword, :Role und :Task verfügt. Daraus erfahren wir, dass es sich bei dem Begriff “Sternin” um eine Aufgabe handelt, die von einer Person ausgeführt wird, die nicht als Beruf oder Handwerk definiert wird. Insgesamt treten vier verschiedene Zahlungen auf, die mit dem Begriff “Sternin” in Beziehung stehen: Quatember, Hauszins, Zins und Jahreslohn. Fürderhin agieren zwei Personen als Sternin, die “Sternin” oder “Neue Sternin” genannt werden. Die Dienstleistung, die mit der Aufgabe der Sternin verbunden ist, ist die “Versorgung der Findel- und Waisenkinder”.

Sternin-Knoten und Nachbarknoten

Als nächstes interessieren uns die Personen, die als Sternin agieren. Dafür muss die obige Abfrage geringfügig abgeändert werden:

MATCH (p:Person)-[]-(n:Keyword)
WHERE p.keyword = 'Sternin' OR p.keyword = 'Neue Sternin'
RETURN p,n

Der neue Ausschnitt des Graphen ist deutlich komplexer und verfügt über deutlich mehr Knoten und Kanten. Wir sehen, dass zwischen dem Knoten “Baumeister” und den Personen, die als Sternin handeln, Kanten bestehen, die Transaktionen repräsentieren. Darüber hinaus erkennen wir, dass für die Person, die als “Sternin” bezeichnet wird, auch eine Bezeichnung als “Alte Sternin” auftaucht.
Weiterhin lässt sich anhand des Graphen erkennen, dass der Erhalt von verschiedenen materiellen Gegenständen dokumentiert ist. Neben Nahrungsmitteln finden sich Brennstoffe und ein Kleidungsstück. Dies lässt darauf schließen, dass die Personen, die die Funktion der “Sternin” ausgeübt haben, von den Baumeistern grundlegend versorgt wurden. Interessanterweise zeigt sich, dass es sich bei den Leistungen, die für beide Personen im Rahmen des untersuchten Zeitraums dokumentiert sind, lediglich um Holz und Milch handelt. Womöglich ist dies jedoch der eingeschränkten Menge des untersuchten Materials geschuldet.

Sternin als Person

Als nächstes erscheint es sinnvoll, sich der Dientleistung zuzuwenden, die durch die “Sternin” angeboten wird. Dazu betrachten wir die Nachbarn des Knotens:

MATCH (s:Service)-[]-(n:Keyword)
WHERE s.keyword = 'Versorgung der Findel- und Waisenkinder'
RETURN s,n

Der Knoten wird durch die Label :Keyword, :Service und :Social als soziale Dienstleistung qualifiziert. Als Anbieter sehen wir einmal die Sternin, die Ammen, die durch die Label :Keyword, :Group als Gruppe gedeutet werden können sowie eine Frau, die durch die Label :Keyword, :Person und :Anonymous als Person auftritt, die nicht namentlich genannt wird. Wir erfahren nicht, ob diese Frau in Ausübung einer Funktion diese Dienstleistung anbietet.
Als Empfänger für die Dienstleistung tritt eine Gruppe auf, die als “Sternin Kinder” bezeichnet wird, und darüber hinaus die Gruppe der “Säuglinge” und eine einzelne anonyme Person, die “Fundkind” genannt wird. Es liegt nahe, dass es sich bei der Gruppe, die durch die “Sternin” bzw. die dahinter stehenden Personen versorgt wird, um die “Sternin Kinder” handelt.

Versorgung der Findel- und Waisenkinder

Die obige Darstellung hat gezeigt, dass das Quellenmaterial alleine durch simple Abfragen auf Basis des Graphen inhaltlich erschlossen werden kann. Durch die semantischen Bezüge zwischen den einzelnen Indices können Begriffe in einen Bedeutungskontext gestellt und somit das Wissen, das in der Domäne liegt, an die Nutzer kommuniziert werden. Ein Register einer Webanwendung, dass das vorgestellte Modell umsetzt, könnte den Nutzern der Edition helfen, die Inhalte der Quelle zu erschließen und die Textstellen zu identifizieren, die für das jeweilige Forschungsvorhaben relevant sind.

Use Case 2: Analyse

Die Ontologie erschöpft sich nicht bei der Nutzung als Erschließungswerkzeug. Darüber hinaus kann sie auch bei der Analyse und Auswertung der erfassten Daten helfen. Dies soll durch die Leistungen aufgezeigt werden, die für die “Sternin Kinder” verzeichnet sind. Obwohl die Ontologie nicht dafür gedacht ist, jeden einzelnen Eintrag darzustellen, kann trotzdem nachvollzogen werden, wie häufig beispielsweise welche materiellen Güter den Findel- und Waisenkindern zur Verfügung gestellt wurden. Zunächst wollen wir jedoch alle Leistungen betrachten, die die Kinder durch die Baumeister erhalten haben. Die dazugehörige Abfrage lautet wie folgt:

MATCH (g:Group)-[]-(k:Keyword)
WHERE g.keyword = 'Sternin Kinder'
RETURN g,k

Anhand des Ausschnitts aus dem Graphen erkennen wir, dass insgesamt 46 Zahlungen im Rahmen der 130 untersuchten Einträge dokumentiert sind, die direkt an die Kinder gerichtet sind. In dunkelgrün lassen sich die Nahrungsmittel erkennen, die die Kinder erhalten haben. Außerdem lässt sich ablesen, dass die Kinder medizinisch versorgt und gebadet wurden und für sie gebacken wurde. Darüber hinaus ist dokumentiert, dass sie Röcke erhielten, die zur Bekleidung dienten. Natürlich handelt es sich dabei lediglich um Aussagen, die mit Hilfe des Graphen getroffen werden können, jedoch verdeutlicht das Beispiel, dass der Graph genutzt werden kann, um gewisse Themenkomplexe zu visualisieren und eine Bestandsaufnahme zu machen. Bei einer solchen Betrachtung fehlen zunächst eine zeitliche Ebene und es können keine Aussagen über die Qualität der Leistungen getroffen werden. Dies muss im Anschluss durch die Lektüre der Quelle erfolgen.

Leistungen an die Sternin Kinder

Eine eher analytische Möglichkeit zur Auswertung der Daten bietet das Attribut reason, dass Teil der Kante :PROVIDE_PAYMENT_FOR ist. Wie jedes Attribut kann es abgefragt werden. Zur Veranschaulichung lassen wir uns alle Werte der reason-Attribute der Kanten ausgeben, die zwischen den Knoten “Baumeister” und “Sternin Kinder” bestehen. Dabei soll eine Zählung der mehrfach auftretenden Werte erfolgen und die Ausgabe soll alpahbetisch geordnet sein.

MATCH(:Entity)-[r:PROVIDE_PAYMENT_FOR]->(g:Group)
WHERE g.keyword = 'Sternin Kinder'
RETURN r.reason, count(r.reason)
ORDER by r.reason

Mit wenigen Anpassungen lassen sich die dadurch gewonnenen Daten in Form eines Diagramms darstellen. Die Diagramme können beispielsweise mit Excel erstellt werden. Dies bietet sich an, da Neo4j das Speichern der Abfrageergebnisse in Form einer CSV-Datei erlaubt. Wir sehen, dass die Kinder insgesamt fünzig mal Zahlungen für materielle Güter erhalten haben. Davon handelt es sich alleine bei der Hälfte um Zahlungen für Milch. Mußmehl taucht insgesamt 4 mal auf, Ebrsen, Holz, Leinentücher, Schönmehl und Röcke jeweils zweimal. Die restlichen Güter tauchen lediglich einmal auf. Wir erfahren nicht, um welche Mengen es sich jeweils gehandelt hat. Trotzdem wird deutlich, welche Güter den Kindern prinzipiell zur Verfügung standen. Anscheinend erfolgte die Versorgung mit Milch zumindest zeitweise recht regelmäßig und spielte bei der Versorgung der Kinder durch die Baumeister bzw. durch die Stadt eine wichtigere Rolle als andere Güter. Sie wurden den Kindern wohl nur punktuell zur Verfügung gestellt. Daraus ergibt sich die Frage, ob und inwiefern die Kinder noch von anderen Einrichtungen innerhalb von Augsburg versorgt wurden. Auch hier würde die Ausweitung des untersuchten Materials neue Möglichkeiten und Impulse liefern und die Aussagekraft der Daten erhöhen.

Kreisdiagramm der erbrachten Leistungen

Ausblick

Die vorangegangenen Darstellungen haben die Nutzbarkeit der erarbeiteten Ontologie aufgezeigt und demonstriert, dass die Implementierung in Neo4j einige effektive Herangehensweisen an das Material ermöglicht. Es wurde auch festgestellt, dass eine größere Datenmenge vermutlich die Aussagekraft des Modells steigern würde.
Für zukünftige Arbeiten mit den Ausgburger Baumeisterbüchern oder vergleichbaren Stadtrechnungsbüchern wäre eine Herangehensweise, wie sie hier vorgestellt wurde, durchaus denkbar. Implementiert in einer Webanwendung könnte man dem Nutzer einer solchen digitalen Edition verschiedene Möglichkeiten bieten, die Daten über ein semantisches Register zu erschließen. Die semantischen Bezüge müssten dafür bereits beim Transkribieren und dem Erstellen des Registers erfasst werden. Das händische Herstellen dieser Bezüge erwies sich im Rahmen des hier vorgestellten Modells als sehr zeitaufwendig, sodass für eine Realisierung in größerem Rahmen eine graphische Oberfläche, die diesen Prozess vereinfacht, durchaus von Nutzen wäre. Die erstellte Ontologie und die Implementierung über Neo4j können auf jeden Fall das Potential und die Möglichkeiten zeigen, die in einer solchen Herangehensweise stecken.